Neue Möglichkeiten für Kleinbauern erschliessen

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This interview is also available in English.

«Digitales» und «Bauern» im gleichen Satz? Da denken viele an die grossflächige kommerzielle Landwirtschaft. Unsere Stiftung sieht aber viele Möglichkeiten für Kleinbäuerinnen und -bauern. Darüber – und über einige Herausforderungen – sprachen wir mit unserem Smallholder Digital Solutions Lead, Mario Kunz.

Syngenta Stiftung: Wie würdest du deinen Nachbarn die bisherigen digitalen Aktivitäten der Stiftung erklären? 
Mario Kunz: Wir unterstützen oder optimieren Prozesse bei den Bauern mithilfe digitaler Technologien. Dabei sehen wir uns als Inkubator für Projekte in verschiedenen Bereichen, z.B. bei der Finanzierung und Risikominimierung, in der landwirtschaftlichen Beratung und Schulung oder bei der Entwicklung von Saatgut speziell für die Bedürfnisse von Kleinbauern. Digitale Technologien helfen, Dienstleistungen preiswert anbieten zu können und Systeme zu entwickeln, die nachhaltig funktionieren. Ausserdem ermöglichen digitale Technologien, dass wir Millionen von Kleinbauern gezielt ansprechen können.

Man hört oft von «gesellschaftlicher Verantwortung». Wie kann die Syngenta Stiftung diese mit digitalen Lösungen wahrnehmen, wenn zuverlässige bzw. aktuelle Daten häufig fehlen? 
In der Tat ist die Datenlage in Entwicklungsländern leider oft sehr dünn. Und genau hier liegt auch einer meiner neuen Ansatzpunkte. Bei all unseren Projekten wird dem sogenannten «Digital Data Footprint» in Zukunft eine viel grössere Rolle zukommen. Welche Daten brauchen wir, um Entscheidungen zu treffen, aber auch die Ergebnisse richtig messen zu können? Wie erfassen wir die Daten digital? Und wie stellen wir sicher, dass Integrität, Qualität und Datenschutz bei der digitalen Datenerfassung eingehalten werden.

Zusätzlich arbeiten wir mit internationalen Organisationen zusammen, die in der Entwicklungshilfe aktiv sind. Wir teilen Daten und erarbeiten gemeinsame Standards. So muss nicht jede Organisation die gleichen Daten erfassen und man kann systemübergreifend arbeiten. Entscheidend ist, dass am Ende den Kleinbauern Dienstleistungen angeboten werden, die ihnen helfen, ihren Lebensstandard zu verbessern.

Viele Kleinbäuerinnen und Kleinbauern können nicht sehr gut lesen und schreiben. Das können wir nicht gross beeinflussen. Wie schränkt uns das digital ein?
Das Gute ist, dass wir digital auch viel mit Bildern, Videos und Farben arbeiten können. Ein anderer Lösungsansatz ist das sogenannte «Aggregationskonzept». Unser e-Hub-Model z.B. ermöglicht es jungen Agri-Unternehmern, gewissermassen die Stimme der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zu werden. Diese Unternehmer und Unternehmerinnen aggregieren – bündeln, also – auch die Nachfrage und Angebot der bäuerlichen Haushalte. Dadurch wird genug Volumen erzeugt für eine nachhaltige Wertschöpfungskette.

Ich würde also sagen, dass uns das Problem des Analphabetentums nicht einschränkt, sondern uns eher kreativer macht bei der Lösungsfindung.

Wie benachteiligt sind Frauen, Kleinbäuerinnen, in der digitalen Welt? 
Benachteiligung von Frauen ist ein Problem. Ein Beispiel: Das Mobiltelefon, insbesondere ein Smartphone, ist der wichtigste Informationskanal für Kleinbauern. Leider gibt es in vielen kleinbäuerlichen Haushalten keins oder wenn, dann gehört es dem Mann. Das schliesst Frauen vom Zugang zu wertvollen Informationen oft von vornherein aus. Ein Lösungsansatz ist, Frauen und Männer separat zu schulen. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht.

Wo siehst du die grössten Herausforderungen für die digitale Arbeit der Stiftung? 
Das ist zum einen der Übergang vom Pilotprojekt zum marktfähigen Angebot. Eine neue Technologie zu testen, können wir als Stiftung in der Regel mit internen Ressourcen stemmen. Einen Pilot dann aber zu skalieren, sprich: dass das Angebot für eine grosse Anzahl von Kleinbauern nachhaltig funktioniert, ist oft schwieriger als gedacht. Dafür brauchen wir Partner – und die richtigen Partner zu finden ist eine weitere Herausforderung!

Wie können wir dafür sorgen, dass bei der Monetarisierung digitaler Programme keine Daten von Kleinbauern missbraucht werden?  
Indem wir uns und unsere Partner zu den hohen Datenschutz-Standards der DSGVO verpflichten. Diese EU-Verordnung gilt für uns auch wenn Länder, in denen wir arbeiten, sie nicht voraussetzen. Ausserdem bin ich der Meinung, dass auch die Daten eines Kleinbauern etwas wert sind. Dafür sollte er etwas bekommen. Er entscheidet ja selber, ob er ein digitales Angebot der Syngenta Stiftung annimmt oder ablehnt; er bleibt Eigentümer seiner Daten. Ich sehe uns hier auch in der Verantwortung, Aufklärungsarbeit bei den Kleinbauern zu betreiben. 

Bei richtigem Umgang mit den Daten entsteht eine Win-Win-Situation. Im Gegenzug für seine Daten bekommt der Kleinbauer ein auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes Angebot und wir kreieren ein nachhaltiges, digitales Ökosystem.

Warum findest du alles «Digitale» so faszinierend? 
Ich war schon immer technikaffin. Und das «Digitale» ist so unglaublich dynamisch: Meine Karriere begann noch ohne Microsoft Windows und Apple – meine Kinder fragen heute als erstes, wenn wir irgendwo ankommen, nach dem WLAN-Passwort. Da ist seit 1990 viel passiert! Die Faszination digitaler Lösungen, finde ich, liegt im Erschliessen neuer Möglichkeiten und Dienstleistungen. Wo wir früher auf Ergebnisse warten oder sie schätzen mussten, können wir heute in Echtzeit simulieren, verstehen und anpassen. Mein persönliches Mantra hierzu ist: «data to insights to actions». 

Wenn wir es jetzt noch schaffen, digitale Technologien auch für die neue Generation von jungen Kleinbauern attraktiv und profitabel zu machen, dann sind wir auf einem guten Weg. 

Hättest du gedacht, mit einem IT-Studium mal in der Landwirtschaft zu landen?
Nein. (Lacht.), Meine ersten Berufsjahre habe ich bei Banken und im Einzelhandel verbracht. Dabei war mir schon immer klar, dass ich lieber mit Kunden zu tun haben möchte, als nur zu programmieren. Mein Eintritt in die Ciba-Geigy* 1995 war dann eher dem Zufall geschuldet. Aber ich bin bis heute gerne in diesem Umfeld geblieben. Und seit ungefähr zehn Jahren hat die digitale Entwicklung in der Landwirtschaft solche Fortschritte gemacht, dass ein digitaler Umbruch bestimmt auch in diesem Sektor stattfinden kann und wird.

Woher kommt deine Leidenschaft für die kleinbäuerliche Landwirtschaft?
Nach meinen ersten zehn Jahren im Unternehmen konnte ich von der internen IT-Abteilung ins Business Development für die Region Afrika und Naher Osten wechseln. Da habe ich dann zum ersten Mal einen Kleinbauern-Kunden getroffen; das hat meine Sicht auf die Dinge verändert. Hier kann ich was erreichen bzw. mit meinem Know-how etwas zurückgeben und eine Veränderung bewirken. Es befriedigt mich persönlich mehr, vielen Kleinbauern zu helfen, besser zu leben, als die Produktivität eines landwirtschaftlichen Grossbetriebes von, sagen wir, 95% auf 98% zu erhöhen. Beides ist wichtig, aber ich habe mich für die Kleinbauern entschieden.

Und was machst du in deiner Freizeit?
Auch da lässt mich das Digitale natürlich nicht los. Unser SmartHome ist mittlerweile ziemlich intelligent und automatisiert. Da bin ich ganz schön stolz, was da alles so integriert ist. Und falls es mal nicht digital sein sollte, halten mich meine zwei Jungs ganz schön auf Trab. Die Familie entdeckt gerne neue Orte mit dem Wohnwagen. Im Winter findet man mich auf dem Snowboard, im Sommer beim Tauchen im Meer.

*Eine Vorgängerfirma unter anderem von Syngenta